Die Hälfte aller Werbeausgaben verpufft wirkungslos. Wenn ich nur wüsste, welche. – Henry Ford
Die Serie „Mad men“ beginnt mit einem Wortspiel. In der Umgangssprache der 1950er und 60er Jahre wurden die Werbeleute als „ad men“ bezeichnet. Diesen Titel schrieben sie selbst zu den „mad men“ um. Nicht in erster Linie, weil die Werbeindustrie ein Refugium für Unkonventionelle, gar Verrückte wäre, sondern weil in dieser Zeit sich zahlreiche Werbeagenturen in der New Yorker Madison Avenue drängten. Diese Prachtstraße der US-Wirtschaftsmetropole bildet den Hintergrund, vor der sich die Machtkämpfe in der fiktiven Agentur Sterling Cooper entfalten. Die Zeitreise in die 1960er Jahre ist in Teilen amüsant, hin und wieder ärgerlich und handwerklich durchweg hervorragend.
Die US-Fernsehserie „Mad men“ entstand zwischen 2007 und 2015, erste Episoden hierzulande gab es ab 2009 im Bezahlfernsehen zu sehen. Noch bis ins Frühjahr 2026 hinein sind alle bisher gedrehten sieben Staffeln synchronisiert auf Arte abzurufen. Der Sog, der von dieser Serie ausgeht, zeigt sich beim verspäteten Wiedersehen auf Deutsch; die preisgekrönte Geschichte um den so charismatischen wie rücksichtslosen Creative Director Don Draper (welche sprechender Name!) hat das Zeug, auch nach weiteren 20 Jahren angeschaut, kommentiert und kopiert zu werden. Das ist schon allerhand, was sich über eine TV-Produktion sagen lässt. Dabei ist jede Folge getreu der Kultur der Branche in kurze, in sich geschlossene Kapitel unterteilt – so lassen sich problemlos mehrere Werbefilme unterbringen, ohne dass es der Zuschauerin groß auffiele.
Allen Beteiligten voran, leisten die Dekorateure, die Schneider und die Friseure eine sagenhafte Arbeit bei der Ausstattung. Die steifen Anzüge der Männer, die wie Rüstungen getragen werden; die figurbetonenden Kleider der Frauen, die allesamt wie Geschenkverpackungen wirken; die Frisuren, der Schmuck und das Make-up; Möbel, Vasen, Aschenbecher und Schreibmaschinen zitieren sämtlich stilsicher die frühen 1960er Jahre mit ihren klaren Linien, den kontrastreichen Farbflächen und den zunehmend künstlichen Materialien. Der II. Weltkrieg ist seit 15 Jahren vorbei, die Wirtschaft brummt bei niedriger Arbeitslosigkeit, die Gesellschaft besteht mehrheitlich aus Konsumenten, technischer Fortschritt und Zukunftsoptimismus greifen um sich. In dieser Zeit des ökonomischen Wachstums, das noch keine ökologischen Grenzen kennt, drehen die Werbeagenturen am ganz großen Rad. Sie versprechen ihren Kunden weitere Marktanteile, sie verstehen sich als Zündkerze des Handels und definieren, welche Marken für den demonstrativen Konsum einer Zielgruppe taugen.
Im Zentrum dieser Armada aus Glücksrittern und Goldgräbern steht der fiktive Texter und Kreativchef Don Draper, für den der reale Werbemanager David Ogilvy Modell stand. Der große, starke, dunkle Don gilt als König der Kampagne, der noch jeden zweifelnden Kunden von seiner Idee überzeugen kann. Dabei strahlt Draper (eine Anspielung auf die Draperie, also allgemein die Verpackung oder speziell das schmeichelnde Arrangement eines Stoffes) eine Mischung aus Kälte, Hohn und Stahl wie ein Panzer aus. Einer Kundin, die zugleich eine seine zahllosen Affären ist, bescheidet er zynisch, dass es so etwas wie Liebe, nach der sie sich sehne, nicht gebe: Es seien Leute wie er, die die „Liebe“ erfunden hätten, um den Kundinnen Nylonstrümpfe zu verkaufen. Dieser Spruch fällt gleich in der Auftaktfolge der ersten Staffel und setzt den Ton der Partitur: Alles ist ein Geschäft, also profitieren wir davon.
Draper und seine Kollegen beginnen den Arbeitstag damit, dass sie ihren Sekretärinnen Hut und Mantel zum Aufhängen überlassen. Dann wird es Zeit für eine von etlichen filterlosen Zigaretten und den ersten unverminderten Bourbon des Tages. Meetings mit Kunden geraten zum Hahnenkampf, die Werbeleute konkurrieren nicht nur mit anderen Agenturen, sondern auch unter einander: Um mehr Geld, um das größere Büro, um den schmückenden Titel, um die kommende Dienstreise. Der Glaube an die Oberfläche hilft den Textern, Kontaktern und Grafikern, sich auf das Verkaufen zu beschränken und Diskussionen über den Sinn und Zweck des eigenen Tuns zu vermeiden. Das Buch „The hidden persuaders“ des Publizisten Vance Packard von 1957 haben sie sicher nicht gelesen, beherzigen seine Botschaften aber virtuos. Daher kommt es diesen im Kern unpolitischen Naturen eher ungelegen, auf Geheiß eines Seniorpartners Werbung für Richard Nixon in seinem Präsidentschaftswahlkampf 1960 gegen John F. Kennedy zu machen – den letzterer auch wegen seiner jugendlichen Bildschirmtauglichkeit für sich entschied.
Die Liebe zum Detail der „Mad men“ zeigt sich im Schnitt der schmalen Anzüge und ausladenden Kleider ebenso wie in den technischen Geräten. Kühlschrank, Radio, Plattenspieler und Fernseher gehören in beinahe jeden Haushalt, Autos in verschiedenen Größen locken mit einem Distinktionsgewinn, das Fliegen mit Pan Am ist noch einer kleinen Gruppe vorbehalten, erste Computer vom IBM füllen ganze Räume. Als ein fernes Wetterleuchten kündigt sich der Donner an, der in wenigen Jahren die heile Konsumwelt der Vorstädte erschüttern soll. Abtreibung ist illegal, aber die Pille zur Empfängnisverhütung kommt 1960 auf den Markt und trägt das ihre zur Emanzipation der Frauen bei. Die Invasion in der Schweinebucht, die Ermordung des Predigers Martin Luther King und fünf Jahre zuvor des Präsidenten sowie der eskalierende Vietnamkrieg können das Projekt Mondlandung nur kaschieren, der Konsens des Kaufens als Lebensinhalt bekommt erste Risse.
Draper ist wie geschaffen für die Rolle des finsteren Verführers, der der Kundschaft ihre offenen wie geheimen Wünsche diktiert. Er hat während des Koreakrieges eine tödliche Gelegenheit genutzt und die Identität eines anderen Soldaten angenommen, um seiner gewaltgeladenen Herkunftsfamilie zu entkommen. Für ihn ist der Wechsel seines Namens nicht mehr als das Annehmen eines neuen Jobs, Hauptsache mit einer besseren Bezahlung. Die Negation seiner Geschichte geht so weit, dass er seinen jüngeren Bruder, der ihn Jahre später aufspürt und ihn hilfesuchend aufsucht, eiskalt abweist und ihn in den Selbstmord treibt. Diese Brutalität wiederholt sich, als Draper, mittlerweile Partner der Agentur, einen Kollegen so sehr demütigt, dass dieser keinen anderen Ausweg als den Freitod sieht. Für den Don kein Grund, sein Verhalten zu ändern.
Er zeigt sich irritiert, dass die junge Sekretärin Peggy Olsen, die seine Telefonate entgegen nehmen, seinen Alkoholverbrauch kontrollieren und seine Liebschaften vertuschen soll, selbst Ambitionen zum Texten und Konzeptionieren zeigt und sich damit gegen alle Widerstände durchsetzt. Von seiner Gattin Betty in der Vorstadt, die er aus visuellen Gründen geheiratet hat, erwartet er, dass sie seine Mahlzeiten kocht, seine Hemden aus der Reinigung holt und die Kinder ruhigstellt. Auch die anderen Werbemänner legen dieses hegemoniale Verhalten an den Tag. Frauen sind für sie nicht nur Beute, sondern Freiwild; die Anwesenheit einer solchen in ihren Runden mindert ihren pubertären Wortschatz kein bisschen. Es ist jene Zeit, in der ein Mann zunächst ein Playboy sein darf, und die Frau sein Bunny.
Das Gehabe und die Zoten der „Mad men“ mögen den Klang der Zeit treffen, für heutige Ohren und Augen sind sie nur mit einer Mischung aus Verwunderung und Ironie zu ertragen, als wären sie reines Camp. Das gilt auch für den Umgang mit Homosexualität. Ein verkappt lebender Schwuler, der zum Schein geheiratet hat, erfährt an mehreren Stellen Avancen wichtiger Kunden. Als er einem besonders zudringlichen Freier einen Korb gibt, fordert dieser vom Agenturchef erbost seine Entlassung. Und weil es um einen Millionenetat geht, haben die Partner keine Probleme damit, ihren langjährigen Kollegen wie einen en passant geschlagenen Bauern vom Schachbrett zu nehmen. Es sind grausame Szenen wie diese, die den warnenden Hinweis an die Zuschauerinnen vor Beginn der Folge rechtfertigen.
Wege der Läuterung sucht das Publikum der „Mad men“ vergebens. Es gilt, in jeder Situation die Form zu wahren, comme il fault. Dazu gehört es, dass die Frauen die Seitensprünge ihrer Gatten stoisch hinnehmen, weil eine Scheidung noch schlimmer wäre als der fortwährende Betrug. Unter der Hand wird die Serie über die Werbeprofis zu einer Dekonstruktion der Macht. Männer haben sie über Frauen, Weiße haben sie über Schwarze, Städter haben sie über Farmer, stets aus dem gleichen Grund: Sie bekleiden Jobs, die besser bezahlt sind und ihnen alle weiteren gesellschaftlichen Türen öffnen, die jene nur aus der Ferne sehen. Jenen bleiben nur die Fluchten in den Traum: Junge Sekretärinnen lesen den Roman „Lady Chatterley“, ein schwarzer Fahrstuhlführer kauft absichtlich einen Fernseher, der sich an eine weiße Kundschaft richtet. Dass Peggy Olsen, die hartnäckige Texterin und selbst ernannte Karrierefrau, die am Ende zu Drapers Chefin wird, beruflich reüssiert, ist in den 1960er Jahren eine Seltenheit, auch in der vermeintlich liberalen Werbung mit ihrem Kult um Kunst und Kreativität.
Worin liegt der anhaltende Reiz der „Mad men“? Ist es ein Gefühl moralischer Überlegenheit, heute „weiter“ zu sein als damals? Ist es pure Nostalgie, gepaart mit der Freude an Dekor und Ornament? Ist es die Kombination aus heiler Welt, bonbonbunter Unschuld und beginnender Rebellion, die die 1960er Jahre historisch interessant machen? Gegebenenfalls von allem ein wenig. Es geschieht jedenfalls recht selten, dass eine Serie voller Abziehbilder und jeder Menge fieser Charaktere, noch dazu mit einem begrenzten TV-Budget (fast alle Szenen wurde im übertrieben kulissenhaften Studio gedreht, Außenaufnahmen sind rar), Lust auf die nächste Folge macht, auch wenn man schon vier en suite gesehen hat. Vielleicht aber gelingt es dem Produktionsteam einfach, eine verwickelte Geschichte zu erzählen, auf deren Fortgang die Zuschauerin erpicht ist. Dass die Werbung ihr schale Versprechen macht, weiß sie bei jedem Spot. Dass sie diese Versprechen nicht hält, weiß sie bei jedem Kauf. Aber ach, ins Geschäft muss sie ja, der Abendbrottisch deckt sich nicht von selbst. Gäbe es doch dafür eine KI.