Die Vuelta a Espana ist eine der drei großen Rundfahrten im Radsportkalender. Sie findet traditionell im September statt und steht etwas im Schatten des Giro d’Italia und natürlich der Tour de France, die im Mai beziehungsweise im Juli eines Jahres die Radsportfans begeistern. Sportlich gibt es für diese leichte Missachtung keinen Grund. Giro, Tour und Vuelta gehen über 21 Etappen in drei Wochen, die Fahrer legen dabei jeweils über 3.300 Kilometer zurück und müssen ihre schmalen Leiber auf den dünnen Reifen über mächtige Berge quälen. In diesem Jahr steht die Vuelta aus politischen Gründen im Brennpunkt: Sogenannte Aktivisten kaperten im baskischen Bilbao die Strecke sowie den Zielbereich und bedrohten das teilnehmende Team Israel Premier Tech.
Es gibt keine Sportart, bei der die Zuschauer ihren Heroen so nahe kommen wie im Radsport. In Italien, Frankreich und eben jetzt in Spanien führt die Strecke immer wieder durch Dörfer und Städte, am Straßenrand stehen die Leute und feiern jubelnd ein Volksfest. Die allermeisten benehmen sich ordentlich und den Fahrern gegenüber umsichtig und respektvoll, lediglich bei den Bergetappen, bei denen das Tempo nicht bei 50, sondern eher bei 15 Kilometern pro Stunde liegt, drängen die Fans in Scharen auf die Straße und lassen den Rädern nur ein schmales Spalier. Dabei brüllen sie den Fahrern ins Gesicht und schwenken dabei Flaggen, ganz so, als wollten sie wie die Toreros in der Arena die wütenden Stiere reizen. Diesmal ist es in Spanien anders: Ein Meer palästinensischer Fahnen verdeckte im Baskenland alle anderen visuellen Signale, die lautstarken Parolen der Aktivisten übertönten selbst die Lautsprecher der Organisatoren. Das erklärte Ziel: Einen Vernichtungswillen gegen Israel Premier Tech zu äußern, stellvertretend für den Staat Israel. Schaut man in die Fratzen dieser Enthemmten, glaubt man ihnen ihre Morddrohungen gegen die Sportler aufs Wort.
In der ersten Woche der Spanienrundfahrt stellten sich während des Mannschaftszeitfahrens Aktivisten dem Team Israel Premier Tech in den Weg und behinderten so den Wettbewerb. Auf dem Weg nach Bilbao wurde der Prostet so gefährlich, dass die Rennleitung die Etappe um drei Kilometer verkürzte, um zu verhindern, dass das Peloton und der Mob im Ziel aufeinandertreffen konnten. Militante hatten die Absperrgitter im Zielbereich gelockert und machten Anstalten, diese auf die Straße und in das anrasende Feld zu stoßen. Politische Proteste bei Sportveranstaltungen jedweder Art kommen immer wieder vor, auch der Radsport ist davon nicht verschont; so haben vor zwei Jahren Klimaaktivisten versucht, eine Etappe der Tour de France zu stoppen. Dass es aber den Demonstranten gelingt, das Rennen zu manipulieren und seinen Abbruch zu erzwingen, ist ein Novum. Die gewaltsamen Proteste im Zuge des Hamassakers vom Oktober 2023 und des anschließenden Gazakrieges, die man von Berlin über Brüssel bis nach Paris und London zur Genüge kennt, sind nun auch in Bilbao abgekommen.
Die spanische Polizei hat sich nach Kräften bemüht, die Sicherheit der Fahrer und der friedlichen Beobachter zu gewährleisten. Bei einer Freiluftveranstaltung, die während sechs Stunden über 180 und mehr Kilometer durch zig Weiler geht, lässt sich beim besten Willen nicht alles kontrollieren. Das eigentlich Blamable aber ist die Reaktion der Vuelta-Organisation. Diese hat das Team Israel Premier zum Verlassen der Rundfahrt aufgefordert, um weiteren Schaden vom Rennen zu nehmen. Dessen Leitung hat dieses vergiftete Angebot erwartungsgemäß abgelehnt. Sportlich ist dem Team nichts anzulasten, daher der perverse Appell, sich doch von sich aus zurückzuziehen. Es sind jetzt also propalästinensische Gruppen, die diktieren, welche Teams an der sportlichen Konkurrenz teilnehmen dürfen und welche nicht. Und die Organisation des Rennens knickt hilflos vor dem Pöbel ein.
Israel Premier Tech, 2014 als Israel Startup Nation gegründet, wird von einem kanadisch-israelischen Geschäftsmann finanziert. Der viermalige Tour de France-Sieger Chris Froome wurde für viel Geld eingekauft, um der jungen Mannschaft zu Erfolg und Prestige zu verhelfen, er hat allerdings wegen seines fortgeschrittenen Alters und einer schweren Verletzung die in ihn gesteckten Erwartungen nie erfüllt. Die Profis kommen aus Belgien, Deutschland, Neuseeland, Kasachstan, Großbritannien, Lettland, Kanada, Australien, Frankreich und eben Israel. Eine solche internationale Besetzung eines Kaders ist im Radsport die Regel, nicht die Ausnahme. Die Sponsoren sind Unternehmen aus allen möglichen Branchen, vom Getränkehersteller bis zur Bank, vom Einzelhändler bis zum Internetdienstleister.
Aus der Reihe dieser Sponsoren, die sich von ihrem Engagement positive Rückkopplungen für ihr Geschäft versprechen, sticht das 2017 gegründete Team UAE, ebenfalls in Spanien am Start, heraus. Das Akronym steht für United Arabian Emirates, dahinter steckt das unermessliche Geld der Emirate aus dem Ölverkauf. Die Emirate haben vor über zwei Jahrzehnten eine Strategie für die Zeit nach dem Ölreichtum aufgesetzt. Mit architektonischen und städtebaulichen Großprojekten wie dem Burj Khalifa oder den Palm Islands soll die Wüste zwischen Dubai und Abu Dhabi als touristische Destination etabliert werden. Für reiche Geschäftsleute wurden die Steuern gesenkt und die Niederlassungsbedingungen vereinfacht. Mit dem Louvre in Paris wurde eine Kooperation geschlossen, um eine Dependance des Museumskomplexes am Golf zu schaffen. Und jüngst floss eine Menge Kapital aus dem Staatsfonds in das Megathema Künstliche Intelligenz.
Diese Imagekorrektur, zu der auch die Aufstellung eines Rennstalls um Superstar Tadej Pogacar gehört, wird konsequent und professionell betrieben. Allerdings sind die politischen und sozialen Bedingungen in der arabisch-muslimischen Welt, zu denen die Emirate gehören, mindestens heikel. Keine freien Wahlen, Todesstrafe, Gefängnis für Schwule, Frauen als Menschen zweiter Klasse und Christenfeindlichkeit sind nur die schlimmsten Stichworte. Dagegen wurde bei den großen Landesrundfahrten in Europa noch nie protestiert, die willfährigen TV-Kommentatoren sparen diese Themen völlig aus und spinnen die Legende des politisch neutralen und keimfreien Sportes munter weiter. Unter den Profis von UAE ist kein einziger Araber, dem Land fehlt jede sportliche Tradition abseits der Falkenjagd und der Kamelrennen. Mit einem Etat, der zu den größten der Branche zählt, können solche lässlichen Petitessen locker beiseite gewischt werden.
Israel Premier Tech verfolgt eine ähnliche Mission. Das Sportmarketing ist eine feste Größe nicht nur für Unternehmen und korrupte Organisationen wie das IOC und die FIFA, sondern auch für Staaten und Nationen geworden. Israel ist im Gegensatz zu den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Demokratie mit einer unabhängigen Justiz, einer freien Wissenschaft und einer lebendigen, offenen Gesellschaft, sicher keine perfekte Republik, aber liberal und säkular. Das Land erlebt gerade die größte Krise seit seiner Gründung 1948. Umgeben von durchweg feindlich gesinnten arabischen Nachbarn, muss es sich mit dem Terror der vom Iran unterstützten Hamas auseinandersetzen. Und dass dieser Terror und seine Unterstützung sich nicht auf den Nahen Osten beschränken, erleben die von muslimischer Landnahme destabilisierten Länder Mittel- und Westeuropas spätestens seit dem Hamassaker. Importierte Judenfeindschaft in bislang ungekannter Dimension gehört in jenen Ländern zum traurigen Alltag.
Der Islam als aggressiv missionarische Religion, die keine anderen Glaubensrichtungen neben sich duldet, hat in Spanien im Mittelalter eine Blutspur gezogen. Über Nordafrika und das Mittelmeer drängten die Sarazenen auf die iberische Halbinsel und konnten erst nach einer jahrhundertelangen Reconquista im Jahr 1492 mit der Eroberung Granadas zurückgeschlagen werden. Seitdem bezieht Spanien seine Identität auch über den Katholizismus, dessen Stärke eine Reformation wie in Skandinavien nie zuließ. Die verstörenden Bilder, die derzeit aus Spanien in die Welt gehen, zeigen indes, wie fragil die demographische Lage vor Ort mittlerweile ist. Bei aller legitimen Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen gehen die gewaltsamen Aktionen speziell gegen das Team Israel Premier Tech über jedes vertretbare Maß hinaus. Es ist beschämend, dass die anderen Rennställe dieses brutale Vorgehen der Krakeeler nicht einhellig zurückweisen und sich mit ihren Kollegen solidarisieren. Dass aber die Organisatoren der Vuelta allen Ernstes die Fahrer des mit Schekel bezahlten Teams aus der laufenden Rundfahrt drängen wollen, ist eine demütigende Geste der Unterwerfung unter die Gewalt des Islam.